Gastfreundschaft – zwischen Tür und Angel. Eine „türische“ Betrachtung
Das Jahr 2025 steht vor der Tür. Zieht sich das Jackett zurecht und hält kurz inne. Atmet noch einmal tief durch, richtet sich zu ganzer Länge auf und klopft. Laut, drängend, bedrohlich? Fröhlich und rhythmisch oder leise und zögerlich. Vielleicht ein Code? Wer wird öffnen? Langsam schlürfend, schnellen Schrittes, neugierig, erwartungsvoll oder skeptisch, vorsichtig, gar verärgert oder wütend? Wer da? Was da?
Nicht an alle Türen kann geklopft werden, manche fügen Schmerzen zu, manche verschlucken das Geräusch. Manche bieten Hilfe an, mit einem Türklopfer oder einer Klingel. Eine Bitte um Erlaubnis oder ein „Hier bin ich“. Türen sind der variable, der paradoxe Teil einer Wand. Sie vermitteln zwischen innen und außen, zwischen jetzt und gleich. Sie grenzen ab, schützen, öffnen, schließen. Sie können für Privatsphäre, für Freiheit, aber auch für Gefangenschaft stehen, sie können Willkommen oder Abweisung bedeuten.
Es gibt viele verschiedene Türen: Alltagstüren, Sondertüren, Eingänge, Ausgänge, Notausgänge. Schutztüren, Geheimtüren, Gefängnistüren. Schwere Türen, kleine Türen, große Türen, automatische Türen, smarte Türen. Eine Tür trennt zwei Welten voneinander – und verbindet sie gleichzeitig. Genau an der Tür prallen sie aufeinander. Kälte hier und Wärme dort.
Ruhe hier und laute Geräusche dort. Gestank hier und Wohlgeruch dort. Feindseligkeit hier und Freundlichkeit dort. Trifft ein Lächeln auf ein anderes? Ein prüfender Blick? Ein genervtes Gestört-Sein? Ein stoisches Tür-Öffner-Gesicht? Freudige Erleichterung? Eine Geste des „Herein“ und „Willkommen“?
Türen einrennen, mit der Tür ins Haus fallen, den Fuß in der Tür haben oder sich in der Tür irren, Tür und Tor öffnen, vor der eigenen Tür kehren, keinen Fuß vor die Tür setzen, jemanden vor die Tür setzen oder die Tür ins Gesicht schlagen …
Türen verlangen eine Entscheidung. Bewegung im Raum kommt hier zum Halten. Szenenwechsel, ein neuer Anfang oder Ende im Gelände? Und was passiert hinter der Tür?
Gastfreundschaft ist die Erwartung des Anderen. Die Bereitschaft, das Eigene für das Andere zu öffnen. Die Bereitschaft, Veränderung durch Begegnung zu riskieren. Gastfreundschaft beginnt an der eigenen Tür. Die Bewegung kommt zum Halten – in Vorbereitung einer Begegnung.
Stop – and go – in the name of love!
Autor*in: Dr. Kawthar El-Qasem
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