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Mit Baukultureller Bildung zur Bauwende?

Architects for Future hat sich 2019 gegründet und einige beachtenswerte Erfolge auf dem Weg zur dringend notwendigen Bauwende zu verbuchen. Was sind die zentralen Anliegen und wie kann der Beitrag der Baukulturellen Bildung aussehen? Dr. Kawthar El-Qasem, FB-Leitung Baukultur, hat bei Judith Ottich und Elisabeth Broermann von Architects for Future Deutschland nachgefragt.

Welche Gelingensbedingungen setzt eine dringend notwendige Bauwende voraus und wie können diese geschaffen werden?

Als ersten Schritt bedarf es der Aufklärung über die schädlichen Auswirkungen unserer bisherigen Baukultur. Wenn wir von Klimaschutz sprechen, geht es schnell um Flugscham und Fleischverzicht. Auch das sind wichtige Hebel. Aber der Bau- und Gebäudesektor ist mit fast 40 Prozent mehr als jeder andere Sektor für die CO2-Emissionen verantwortlich. Wenn momentan vom nachhaltigen Bauen gesprochen wird, geht es meist um die Energieeffizienz während der Betriebsphase eines Gebäudes. Die sogenannten grauen Energien und grauen Emissionen, die bei der Rohstoffherstellung, beim Transport, beim Bau und beim Rückbau des Gebäudes entstehen, werden dabei nicht eingerechnet. Das ist ein grundlegender Rechenfehler.

Darüber hinaus hat der Bausektor nicht nur ein Klima-, sondern auch ein Ressourcenproblem. Mehr als 90 Prozent der mineralischen, nicht nachwachsenden Rohstoffe werden beim Bauen verbraucht, gleichzeitig stammt mehr als die Hälfte unseres Abfallaufkommens von Baustellen und Gebäudeabrissen. Hier hapert es an entsprechenden Regularien für die Kreislauffähigkeit und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe beim Bauen. Viele Akteur*innen haben in der Praxis mit Beispielprojekten längst gezeigt, dass und wie kreislauffähiges und klimagerechtes Bauen geht. Wir brauchen aber jetzt die Anwendung in der Breite, mit mehr Vernetzung und Erfahrungsaustausch. Zum anderen sind klare neue politische Rahmenbedingungen als Gesamtpaket notwendig, die alle Zeichen auf Bauwende stellen. Denn dem bestehenden System zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen aufzupfropfen, verkompliziert und verteuert das Planen und Umbauen und hemmt eher die Transformation.

Mitgestaltung, Partizipation und Selbstwirksamkeit sind zentrale Elemente in der Baukulturellen Bildung. Welche Rolle könnte die Baukulturelle Bildungsarbeit für die Bauwende spielen?

Das Bauen prägt unsere Umwelt, die uns umgebenden Räume, unsere Städte und Landschaften. Damit beeinflusst es unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Stadt- und Raumgestaltung ist entscheidend für den Umgang miteinander. Demokratie beginnt hier. Eine Nachbarschaft braucht einen Platz mit Aufenthaltsqualität, um sich treffen und austauschen zu können. Wenn es den nicht gibt, findet auch kein Kontakt unter den Bürger*innen statt. Das Gleiche gilt für Schulen oder Bibliotheken, Theater oder Sportstätten. Deshalb ist Mitgestaltung so wichtig. Niemand weiß besser, was gebraucht wird, als die Leute, die die Räume nutzen sollen. Echte Teilhabe im Planungsprozess ist ein wichtiger Punkt in Sachen Nachhaltigkeit. Räume und Flächen werden länger angenommen, belebt und gepflegt.

Das wichtigste Lernziel ist unserer Meinung demnach, dass sich alle Bürger*innen einmischen dürfen und zukunftsfähige Qualität bei der Gestaltung unserer gebauten Umwelt einfordern dürfen; angesichts der Klima- und Ressourcenkrise auch müssen.

Dazu müssen unsere Verletzlichkeit und die Risiken für unsere Infrastruktur sowie auch die riesigen Probleme, die konventionelle Bautätigkeit verursacht, klar benannt werden. Also gilt es, anzuerkennen, dass wir in einer Krise stecken und zu entschlüsseln, worin sie besteht, um dann mögliche und bereits erprobte Lösungsansätze aufzeigen zu können. Städte müssen keine Hitzefallen werden, weil wir sie umgestalten können. Sehgewohnheiten können sich bei einem bewussten Umgang mit Bausubstanz ändern, sodass etwa Gebrauchsspuren als identitätsstiftend wertgeschätzt werden.

Und nicht zuletzt hängt von guten öffentlichen Räumen unsere Organisationsfähigkeit als demokratische Gesellschaft ab: Öffentliche Plätze und Begegnungsräume stärken unsere gesellschaftliche Resilienz in Zeiten der Transformation. Wir würden uns zum Beispiel wünschen, dass mehr Kinder Exkursionen in Stadtplanungsämter machen und konkret lernen, wie Beteiligung in ihrer Kommune aussieht.

Beim Klimaschutz sind es gerade die jungen Menschen, die etwas in Bewegung setzen. Ist A4F dabei auch eine Schnittstelle zur Baukultur für Kinder und Jugendliche?

Klimaschutz ist keine Frage des Alters. Architects for Future (A4F) wurde 2019 gegründet und ist seitdem stetig gewachsen.  In der A4F-Bewegung kommen seit jeher Menschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen zusammen und setzen sich gemeinsam für den Erhalt unserer Lebensgrundlage, unseres Planeten ein. Das Bundesverfassungsgericht hat klar verdeutlicht, dass Klimaschutz eine Sache der Generationengerechtigkeit ist und wir es den Kindern und Jugendlichen schuldig sind, alles dafür zu tun, ihre Zukunft zu sichern.

Als A4F sind wir Teil dieser Community, richten uns primär aber an die Beschäftigten des Bausektors, weil da unsere Expertise liegt und wir feststellen, dass da noch viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Wir versuchen aber natürlich auch über unsere Web-Seminare bei YouTube und unsere anderen Social-Media-Kanäle Wissen zu vermitteln und junge Menschen mit der Botschaft zu erreichen: Deine gebaute Umwelt ist nicht zwangsläufig in Stein gemeißelt, sondern eine wichtige Gestaltungsfrage.

Außerdem beteiligen wir uns an der Public Climate School und regional an Workshops für Jugendliche bei Mitmachbaustellen oder dann, wenn Fridays for Future uns im Zuge von Klimacamps anfragt.

Wenn wir Anfragen von Schulen bekommen, versuchen wir, auch diese in unserer ehrenamtlichen Arbeit anzunehmen und mit Formaten wie Festivals junge Menschen anzusprechen. Hier gibt es meist von sich aus bereits Interesse für das Thema und wir werden oft nach Tipps zur Studien- oder Ausbildungswahl gefragt.

Allerdings: Wir sind eine zu kleine Gruppe, um die Grundbildung und die Sensibilisierung für das Thema bei Kindern und Jugendlichen zu leisten. Das muss durch die Schulen und die Architekt*innen- und Ingenieur*innen-Kammern geschehen. Prinzipiell würden wir uns freuen, wenn ökologisch und sozial nachhaltiges Bauen schon früh im Lehrplan thematisiert wird.

Die 10 Forderungen für eine Bauwende

  1. Überdenkt Bedarfe
  2. Hinterfragt Abriss kritisch
  3. Beschleunigt die Energiewende
  4. Entwerft zukunftsfähige Qualität
  5. Konstruiert kreislauffähig und klimapositiv
  6. Fördert eine gesunde gebaute Umwelt
  7. Stärkt die Klimaresilienz
  8. Erhaltet und schafft Raum für Biodiversität
  9. Übernehmt soziale Verantwortung
  10. Plant integral

Interview:
Dr. Kawthar El-Qasem