Systemische Theater-Pädagogik
Seit zehn Jahren gestaltet Sandra Anklam an der Akademie der Kulturellen Bildung den Fachbereich Theater, der den Schwerpunkt auf Systemische Theaterpädagogik legt. Was den systemischen Ansatz ausmacht und wieso Fehlerfreundlichkeit dazugehört, verrät sie im Interview.
Was genau unterscheidet die systemische Theaterpädagogik von anderen theaterpädagogischen Ansätzen?
Der systemischen Theaterpädagogik liegt eine benannte Haltung und ein Bezugssystem aus systemischen Grundprinzipien und Annahmen zugrunde. In dieser Haltung liegt ein Unterschied zu anderen Ansätzen, denn sie wirkt sich sowohl pädagogisch als auch künstlerisch auf die Theaterpädagogik aus. Die besondere Haltung bezieht sich auf das Menschenbild, dass der Mensch alle Möglichkeiten und Potenziale in sich hat. Und sie geht davon aus, dass Wirklichkeiten, die jeder Mensch mitbringt, konstruiert sind. Wirklichkeiten lassen sich somit auch de- und neu konstruieren.
Wo erweist sich systemische Theaterpädagogik als besonders hilfreich?
Der systemische Ansatz ist in der Pädagogik und Lehre ein nützliches Konstrukt. In der Theaterpädagogik arbeiten wir auch in Kontexten, wo die Leute nicht freiwillig zu uns kommen, wenn beispielsweise eine Lehrkraft eine Schulklasse in ein theaterpädagogisches Angebot bringt. In diesen Situationen treffe ich oft auf Widerstände. Wenn ich Widerstand aber aus einer systemischen Haltung heraus verstehe, bin ich in der Lage zu erkennen, dass mein Angebot offenbar nicht anschlussfähig ist für die Wirklichkeit der jeweiligen Person oder eines Subsystems. Dann kann ich schauen, wie ich mein Angebot verändern kann und muss nicht mein Gegenüber verändern wollen.
Wie können systemische Ansätze in der Theaterpädagogik dazu beitragen, soziale Interaktionen und Beziehungen zu verbessern?
Indem ich den Perspektivwechsel als ein zentrales Prinzip aus dem systemischen Denken einbeziehe, sowohl künstlerisch als auch pädagogisch. Im Theater übt man mit jeder neuen Rolle einen Wechsel der Perspektive und das ist per se wirksam für die soziale Interaktion. Wenn wir über etwas sprechen, dabei im Kreis sitzen und das Thema wechseln, lasse ich die Teilnehmenden tatsächlich auch den Platz wechseln, um einen anderen Blick auf ihr Gegenüber oder auf die Gesamtsituation zu ermöglichen. Wenn ich diesen Perspektivwechsel explizit übe, bewegt das etwas und ist hilfreich für das soziale Gefüge.
Für wen ist die systemische Theaterpädagogik gut geeignet?
Sie eignet sich für alle, die sich dafür interessieren, wie Prozesse und Dynamiken in Gruppen funktionieren. Das Systemische ist auch hilfreich, um sich als Künstler*in zu entwickeln. Die systemischen Prinzipien sind anwendbar auf Figurenkonstellationen und können Brücken bauen, um in der Arbeit mit Amateur*innen leichter, fundierter und komplexer in Rollen oder Szenen einzusteigen.
Was ist dir in der Ausbildung von Theaterpädagog*innen besonders wichtig?
Alle angehenden Theaterpädagog*innen sollten den Raum haben, für sich eine pädagogische und künstlerische Haltung zu entwickeln. Die Frage, wer sie in der Gruppe sind, ist elementar, wenn die Teilnehmenden später als Theaterpädagog*innen in Gruppen arbeiten. Diese Haltung sollen sie in einer wertschätzenden und angstfreien Atmosphäre entwickeln. Fehlerfreundlichkeit ist dabei ein tragendes Prinzip der Weiterbildung. Die meisten beginnen sie mit viel Perfektionismus in sich. Die Akademie der Kulturellen Bildung ist der Raum, in dem sie Fehlerfreundlichkeit kultivieren können. Mir geht es nicht darum, den Perfektionismus über Bord zu werfen. Ich finde ihn wichtig, aber es ist nötig, ihm die Fehlerfreundlichkeit als Partner an die Seite zu stellen.
Interview: Torsten Schäfer
→ Kurs-Tipp: Weiterbildungen „Grundlagen Theaterpädagogisches Handwerk“ (Start: April 2025)