Was Benin-Bronzen mit Kultureller Bildung zu tun haben
In fast allen großen Museen Europas gibt es beeindruckende Plastiken, die aus Nigeria stammen. Meist sind sie aus Bronze, die ältesten 500 Jahre alt. Ihre (hier sehr vereinfacht dargestellte) Geschichte kann als Anstoß für Kulturelle Bildung gelesen werden: 1897 eroberten britische Truppen das Königreich Benin (im heutigen Nigeria) und raubten diese wertvollen Plastiken, die sogenannten Benin-Bronzen, und andere Kunstwerke. 1899 wurden sie in London versteigert. Auch zahlreiche deutsche Museen haben dort eingekauft. Etwa 30 Jahre später gab es die ersten Forderungen aus Nigeria, dieses Raubgut wieder zurückzugeben. Bis zum April 2021 haben sich jedoch alle Museen geweigert, das zu tun. Es hat zwei Impulse gebraucht, der anhaltenden Diskussion neuen Rückenwind zu geben: eine Untersuchung im Auftrag der französischen Regierung im Jahr 2019 (Savoy-Sarr-Report) und die Black-Lives-Matter-Bewegung nach der Tötung George Floyds im Mai 2020.
So haben sich endlich Vertreter*innen aus Nigeria und Deutschland geeinigt, die Objekte, die sich in deutschen Museen befinden, nach Nigeria zurückzugeben. Dafür wird ein Museum in Benin City gebaut. Bis zur Eröffnung im Jahr 2030 arbeitet nun eine deutsch-nigerianische Gruppe von Expert*innen an einem gemeinsamen Konzept, auch zum Thema, wie die Geschichte dieser Werke als geteilte Geschichte mit gemeinsamen, aber auch verschiedenen Bedeutungen erzählt werden kann.
An diesem Beispiel können wir Prozesse beobachten, welche Aspekte für eine zeitgenössische Kulturelle Bildung – inspiriert von postkolonialen Theorien – im Kontext von Globalisierung wichtig sind. Dazu gehören:
- Wer hat Werke, Produkte, aber auch Wissensbestände hergestellt, wem gehör(t)en sie, wem soll(t)en sie gehören?
- Wer kann sprechen, wer „darf“ sprechen, wer spricht?
- Welche Perspektive(n) nehmen die Sprecher*innen ein? Welche Narrative erzählen sie?
- Können die Werke verhandelt werden? Können wir Interpretationen verhandeln?
- Welche Sprache verwenden wir? Schränkt die gewählte Sprache das Erkennen, Wissen wie auch die Kommunikation ein? Was kann in dieser Sprache nicht ausgedrückt werden? Welche kulturellen Konzepte transportiert die Sprache, die in eine andere Sprache nicht adäquat übersetzt werden können? Ist die global meist genutzte Sprache Englisch Teil eines hegemonialen Regimes, das Kulturelle Bildung global vereinheitlicht und standardisiert?
- Können Werke oder kulturelle Prozesse (normalerweise als passive Objekte verstanden) als sensible „Objekte“ zu eigenständig handelnden Subjekten werden?
- Können Werke, Produkte, Wissensbestände geteilt werden?
Zur Beantwortung solcher Fragen hat ein transnationales Team aus Wissenschaftler*innen von Exploring Visual Cultures (EVC) ein analytisches Raster entwickelt, das die kulturelle Dimension ins Verhältnis zur politischen Dimension setzt. Die kulturelle steht für die spezifische Qualität des kulturellen Kontakts – von der Zerstörung (im Jahr 1897 durch die Eroberung durch britische Truppen) über die Differenz (seit dem Zeitpunkt der Versteigerung in London im Jahr 1899 bis heute) bis hin zur Resonanz in transkulturellen Räumen (dem Bau des Museums in Benin City im Jahr 2030). Die politische Dimension thematisiert die Machtfrage – von hegemonialer Beherrschung im Jahr 1897 bis zu Aushandlungsprozessen auf Augenhöhe im Jahr 2030.
Bleibt zu hoffen, dass ein solches Raster hilft, Positionen besser zu verstehen, aber auch zu formulieren.
Weitere Informationen: explore-vc.org
Autor*in: Dr. Ernst Wagner