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YOLO? Yalla! Krise als Critical-Incident, Weggabelung, Chance

YOLO – ein Akronym für „You Only Live Once!“ – „Du lebst nur einmal!“ Nach bisherigem Kenntnisstand ist dies eine steile These, schwer zu belegen, schwer zu widerlegen. Die meisten Menschen scheinen ihr zu folgen. Für sprichwörtliche Katzen soll dies zum Beispiel nicht gelten.

Was lässt sich aus dieser These schlussfolgern? Was könnte das psychologische Thema sein? Hier ein paar Übersetzungsversuche:

● Verwegenheit und Risiko – das Leben als James-Bond-Film?
● Verwirklichung von Lebensträumen – jetzt und ohne Prokrastination!
● Auswirkungen der Sterblichkeit auf unsere Haltung zum Leben
● Rücksichtslosigkeit: „Jetzt komm ich, der Rest ist mir egal.“
● Alles immer richtig machen und aus der Vielfalt der Möglichkeiten das Richtige wählen.
● Das Individuum ist einzigartig (unteilbar unterscheidbar).
● Du lebst nur einmal! Ja und? Wozu? Wofür? Wohin?
● Stimmt das überhaupt? Gibt es eine zweite Chance?
● Das ewige Leben – Traum oder Albtraum?
● Für wen ist die Welt gemacht bzw. wer eignet sie sich an?

Systemiker*innen ziehen konsequenterweise den Kontext zurate, um Gegebenheiten zu verstehen. Setzt man das Statement YOLO in den Zusammenhang mit der Gegenwart und der weltweiten Entwicklung, spitzen sich mehrere globale und erwartbare Krisen zu:

● Leben und Arbeiten im Beschleunigungswahn: mit deutlichen Zeichen gesellschaftlicher, stetig weiterwachsender Instabilität.
● Ökologie/Klima: mit deutlichen Instabilitäten und bereits neuen Stabilitäten, die einen radikalen Wandel ankündigen.
● Corona-Krise: eine neue, für zahlreiche Menschen lebensbedrohliche Gesundheitsgefahr.
● Dominanz der menschlichen Bevölkerung: mit Ressourcenverbrauch, der nicht nur zulasten der Existenz und Vielfalt anderer Spezies geht, sondern die drei erstgenannten Aspekte befördert (ein Teufelskreis).

Der Begriff Krise wird landläufig zur Beschreibung von Momenten des Untergangs oder Katastrophen genutzt – er beschreibt im eigentlichen Sinne Momente der Unterscheidung. Denn Krise beinhaltet auch die Chance einer Weggabelung, einer „Bifurkation“, in der durch Bedeutungsgebung zwischen einer günstigen und einer ungünstigen Entwicklung unterschieden werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt heißt das, sich für einen Weg zu entscheiden: für den zur Dynamik wie zuvor oder für den zu einer innovativen Dynamik.

Im langen und trockenen Sommer 2020 hätte die Krise nahelegen können, von einer relevanten Mehrheit als „wake-up call“ verstanden zu werden. Dementgegen wird allerdings überdeutlich, dass anscheinend ein gesellschaftlicher Konsens über die relevante Wirklichkeit abhandengekommen ist. Es schießen Verschwörungstheorien ins Kraut, die in ihrer schöpferischen Qualität in Bezug auf Abstrusität, Komplexität ihrer Annahmen und Verflechtungen durchaus literarische Qualitäten hätten. Einigen Menschen scheint es leichter zu fallen, Theorien aus dem Internet zu akzeptieren, als Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen.

Wie hieß noch das Motto? „Du lebst nur einmal!“ Für die Entscheidung an dieser Weggabelung gibt es nur einen einzigen Versuch. Ein Undo, „Strg + Z“ gibt es nicht. Mit dem Blick auf diesen Aspekt lässt sich zur obigen Liste von Übersetzungsversuchen noch eine zeitgemäße hinzufügen:

Dies ist deine letzte Chance! Nutze sie jetzt oder verschwinde! Quasi: „The last shot!“ Oder in kleiner sprachlicher Abwandlung – die deutlich mehr Aufbruchstimmung und Ermutigung mitteilt: Yalla! Arabisch: „Los!“ oder auch „Komm, mach mit!“

Autor*in: Dr. Thomas Reyer