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Leerstellen. Ein Thema der Kulturellen Bildung?

Eine abstrakte Skulptur aus verschiedenen gemoetrischen Formen und einem stilisierten Gesicht.

Eine Assoziation zum Thema Leerstellen lässt sich zur aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen: Warum gibt es gegenwärtig so viele Leerstellen in bestimmten Arbeitsbereichen, wie der Kulturellen Bildung, der Pädagogik oder auch im Handwerk?

Vielleicht stehen diese Leerstellen in Zusammenhang mit jenen innerhalb der omnipräsenten Bildwelten, die seit Ende der 1990er Jahre im Sinne des „Iconic“ bzw. „Visual Turn“ und im Zuge der Digitalität unser Denken zunehmend einnehmen. In diesen Bildwelten sozialer Netzwerke und Online-Plattformen stehen Prominente aus der Film-, Musik-, Gaming-, Sport- oder der Influencer-Welt im Fokus. In der Regel sind das jedoch nicht Kulturpädagog*innen, Lehrer*innen oder Handwerker*innen. In einer Filmdokumentation einer Handwerksmesse zur Nachwuchsgewinnung war es sinnbildlich, dass junge Teilnehmende mehr Interesse an dem Beruf der Journalistin zeigten, die sie interviewte, als an den sich präsentierenden Gewerken.

Diese Bildwelten haben sich zu „Bildgewalten“ entwickelt. Sie beeinflussen die Gesellschaft in vielfältiger Form: Sie setzen Leitlinien für Lebensziele, Beruf, Konsum oder Schönheitsideale. Sie reproduzieren dabei auch bestehende Diskriminierungspraktiken. Dies gilt selbst für scheinbar „neutrale“ Techniken wie die Künstliche Intelligenz (KI). So identifizieren Gesichtserkennungssysteme wie Google Fotos hellerer Gesichter aufgrund ihrer technischen Machart besser als dunklere. Dies ist wiederum eine Folge davon, dass zufallsgenerierte KI-Bildprogramme eben nicht einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen, sondern bestimmte ethnische Bevölkerungsgruppen unterrepräsentieren. KI schreibt auf diese Weise gesellschaftliche Diskriminierungstendenzen fort. Sinnbildlich hierfür steht ein Vorfall aus dem Jahr 2015, als Googles neue Foto-App Bilder des dunkelhäutigen US-Programmierers Jacky Alciné und seiner Freundin automatisch mit „Gorillas“ betitelte.

KI kann auch aktiv (Bild-)Realitäten verändern. So sorgten beispielsweise 2018 ein täuschend echtes Youtube-Video von dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama für Aufregung oder das jüngst kursierende Bild von Papst Franziskus, gehüllt in einen dicken Daunenmantel. Beide Bildscheinwelten wurden mithilfe von KI erstellt.

KI kann aber nicht nur unsere Bildrealitäten verändern, sondern auch unsere Alltagsrealitäten, indem sie unsere gedankliche (Bild-)Welt „fesselt“ durch die kontinuierliche Versorgung mit „Content“. So werden gedankliche Leerstellen zum Luxus, die Zeit Gedanken schweifen zu lassen oder beim Busfahren aus dem Fenster zu schauen. Das Digitale nimmt unseren gedanklichen Freiraum in Besitz und bietet uns Beschäftigungstherapien mit News, Mails, Spielen, Social Media und Navigationssystemen.

Sind es nicht eben diese gedanklichen Leerstellen, die uns von einer KI unterscheiden? Die Fähigkeit zum freien, ziellosen Assoziieren jenseits einer Programmierung und Deep Learning? Beispielsweise in bewusst geschaffenen Leerstellen in Texten, die Raum für Interpretationen lassen? Ist das Menschsein nicht eng verknüpft mit Leerstellen, die es zu füllen gilt, um einen freien und unabhängigen Geist zu entwickeln? Das Thema „Leerstellen“ eröffnet viele Leerstellen. Um diese assoziativ zu füllen – und das macht den Eigensinn der Kulturellen Bildung aus – gilt es, diesen Leerstellen Raum zu geben!

Autor*in: Prof. Dr. Susanne Keuchel